Fehlerstatistik verbessern – 3 gefährliche Aspekte

Was macht einen guten Jongleur aus? Sicherlich, dass er während der Performance wenig fallen lässt.

In einem Engagement im Apollo Theater in Düsseldorf hatte ich vor Jahren mal die verrückte Idee einen Monat lang eine Fehlerstatistik anzufertigen. Ich wollte dokumentieren wie viel ich fallen lasse. Wahrscheinlich um mir zu beweisen, was für ein toller Jongleur ich bin und das habe ich immer noch in guter Erinnerung, denn das hat einiges bei mir bewegt. Drei Dinge möchte ich hier besonders betonen.

1.) Die Fehlerstatistik begann mit einem riesigen Kopfkino. Währenddessen ist auch mehr runtergefallen als üblich. Erst nach ein paar Tagen wurden die Zahlen dann deutlich besser. Am Ende hatte ich einen Schnitt von weniger als einem Fehler pro Auftritt! Dabei darf man nicht vergessen, ein Auftritt dauert sieben Minuten und beinhaltet tausende Möglichkeiten etwas fallen zu lassen!!!

Bei dem Kopfkino gingen mir allerlei Dinge durch den Kopf, wie z.B.:

  • Risikobewertungen der einzelnen Jongliertricks,
  • welche Gefahren bei den ganz einfachen Tricks bestehen, weil man meint da geht sowieso nichts schief
  • Welche Auswirkungen auf meine Statistik hätte ein weiterer Fehler
  • Wie eine Null-Fehler-Performance meine Statistik beeinflusst
  • Wie andere Jongleure wohl abschneiden würden
  • Beeinflusst das Fehler-zählen die Wahrscheinlichkeit, dass sie passieren und warum?

Was kann man daraus lernen? Erstens: Durch die verstärkte Fokussierung auf das Thema Fehler steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie passieren. Zweitens: Durch die Fokus-Verschiebung wird die Aufmerksamkeit von dem abgelenkt, worum es eigentlich geht. Denn was mir nicht durch den Kopf ging, ist was die Zuschauer in diesem Moment sehen, fühlen, brauchen. Plötzlich ging es nicht mehr um Entertainment, sondern um den Null-Fehler-Wunsch. Ich stand plötzlich für mich und meine Statistik auf der Bühne und nicht mehr für die Zuschauer, für die ich eigentlich da sein sollte.

2.) Eine der Fragen, die mir ständig durch den Kopf ging ist die Frage: Was ist denn ein Fehler?

Und zählt das was gerade passiert ist als Fehler? Üblicherweise habe ich recht hohe Ansprüche an mich. Schon alleine wenn etwas nicht synchron zur eigens für meine Nummer komponierten Musik passte, wusste ich, dass ich das besser machen will. Aber während der Fehler-Statistik fand permanent die innere Diskussion darüber statt, was als Fehler zählt. Gilt es als Fehler wenn es nur kurz den Boden berührt oder muss es dort schon richtig liegen bleiben. Natürlich entschied ich mich für die letzte Variante, das ist schließlich auch der Fehler, den die Zuschauer sehen. Ich stellte da meine Ansprüche und Befindlichkeiten zugunsten der Statistik gerne zurück.

Was kann man daraus lernen? Die Dinge sind oft nicht so klar wie sie scheinen. Geht es um Fehler wird gerne diskutiert, ob es einer ist oder eben noch nicht. In der Fehlerstatistik will natürlich keiner schlecht abschneiden, deshalb ist der Hebel genau in dieser Frage zu suchen. Standardantwort wird werden: Im Zweifelsfall war es kein Fehler!  Für die Statistik ist es deshalb besser die eigenen Ansprüche niedrig zu halten oder gleich abzustellen. Auf lange Sicht sollte man sie am besten gleich an der Garderobe abgeben.

Wahrscheinlich geht es bei einer Null-Fehler-Kultur und bei Fehlerstatistiken darum die Qualität zu steigern, doch man läuft Gefahr, damit genau das Gegenteil zu erreichen.

Risiko und Fehlerstatistik Jongleur & Speaker A. Gebhardt

3.) Es gibt gute und schlechte Tage. An guten Tagen geht mir das Jonglieren leicht von der Hand, an schlechten ist es eine ständige Herausforderung an der Leistungsgrenze zu funktionieren. An guten Tagen machte ich oft mal einen schwierigen Trick mehr, was langfristig dazu führte, dass die Tricks sicherer wurden und sich irgendwann zu einem festen Bestandteil der Nummer entwickelten. Während meiner Fehlerstatistik habe ich aber jedes extra Risiko vermieden, auch wenn es ein guter Tag war. Wieso sollte ich ein extra Risiko eingehen und damit meine Performance auf dem Papier gefährden? Dass die echte Performance dadurch gewinnen würde, daran habe ich gar nicht gedacht (Siehe Punkt 1).

Schlimmer als das war aber, dass ich an schlechten Tagen besonders riskante Tricks, die öfters mal schiefgingen sogar ausließ. Na ja, die Anzahl der Tricks wurde in der Statistik ja nicht erfasst, oder?

Was kann man daraus lernen? Je wichtiger die Null-Fehler sind, desto seltener geht man den extra Schritt zum Besonderen. Berechenbarkeit, Sicherheit und Standard sind das Ziel. Die Devise ist sogar: Lieber weniger machen als einen Fehler zu riskieren. Weiterentwicklung, Extras und selbst überschaubares Risiko wird vermieden wo es nur möglich ist. Hauptsache die Performance auf dem Papier stimmt, die plötzlich wichtiger wird als die echte Performance.

Fazit:

Der Wunsch nach einer Null-Fehler-Kultur kann sehr leicht genau das Gegenteil bewirken. Es beginnt mit der Fokusverschiebung weg von der Performance, hin zur Fehler-Fixierung. Sanktionen, Rüffel, öffentliches Vorführen und andere Sozialstrafen ebnen den Weg in diese Fixierung. Heraus kommen zwar statistisch weniger Fehler, aber Qualität, Innovation, Weiterentwicklung, individualisierter Service und unternehmerisches Denken bleiben auf der Strecke. Darüber hinaus leidet Spaß bei der Arbeit und der offene Austausch im Team.

Die Motivationspsychologie geht sogar davon aus, dass man mit Bestrafung Menschen regelrecht umerziehen kann. Weg von der Motivation: ‚Hoffnung auf Erfolg‘ hin zur ‚Furcht vor Misserfolg‘.

Für Menschen, die Ihre Arbeit ernst nehmen ist der Fehler an sich doch schon unangenehm genug, da braucht es keine Sanktionen und auch keine Statistik die das Ganze noch vorführt. Fehler zu bestrafen ist sogar ein Fehler, denn damit entsteht Angst vor Fehlern und damit ist die Tür zur Fehler-Fixierung offen. Wenn es um die Fehlerstatistiken geht, dann denken Sie an die Erkenntnisse der Quantenphysik: Alleine das Beobachten verändert schon das Geschehen. Also gilt es dabei äußerst sensibel hinzuschauen.

Falls Sie Ihre Mitarbeiter oder Kollegen für den Umgang mit Fehlern sensibilisieren wollen: Andreas Gebhardt hält Vorträge, die genau dies zum Ziel haben.