Was ist ein Fehler?

Ein Jongleur steht auf der Bühne, mitten in seiner Show fällt ihm ein Ball runter.

Linke Hand: „Jetzt streng Dich mal an, Du verpfuschst uns noch die ganze Show!“

Rechte Hand: „Ich? Ich habe nur versucht zu retten, was noch zu retten war. Deine Vorarbeit war so mies, dass ich den Ball nicht mehr erwischt habe!“

Linke Hand: „Ja klar war mein Wurf mies, das liegt an dem Sch…-Wurf, der von Dir rüber kam. Dass ich den überhaupt noch erwischt habe, grenzt schon an ein Wunder!“

Rechte Hand: „Du bist so arrogant, schiebst die Schuld immer zu mir, dabei hast Du doch deinen Job nicht im Griff!“

Linke Hand: „Ich? Du bist doch der Besserwisser. Weißt du eigentlich wie unzuverlässig und verkorkst Du mir die Bälle zuspielst?“

Jonglieren ist ein sich bewegendes Muster, eine fortlaufende Bewegung. Ein Ball folgt dem anderen ein Wurf dem nächsten. Nur idealtypisch fliegen alle Bälle immer auf der gleichen, angedachten, idealen Flugbahn. Die Realität sieht anders aus – es ist ein instabiles System, das ständig neu ausgerichtet wird. Jeder einzelne Wurf weicht von der Ideallinie ab, und jeder nächste Wurf muss diese Abweichung ausgleichen. Für den vierten Wurf hängt also alles davon ab wie der dritte Wurf den zweiten ausgleicht und wie der auf den ersten reagiert. Dabei kann sich eine Abweichung auch so vergrößern, dass ein Ball nicht mehr zu fangen ist. Das nennen Jongleure dann einen ‚Drop‘ und Zuschauer einen ‚Fehler‘.

Was aber ist ein Fehler eigentlich?  Ist es ein Fehler wenn ein Ball nicht gefangen wird? Oder ist es ein Fehler den Ball so zu werfen, dass er nicht gefangen werden kann?  Oder ist es vielleicht sogar der vorausgehende Wurf, der die große Abweichung provoziert hat, dass danach kein guter Wurf mehr stattfinden kann?

Arbeitet man Hand in Hand, ist es wichtig, dass alle Beteiligten flexibel und nachsichtig miteinander umgehen, denn keiner ist perfekt. Wenn etwas schief geht, dann ist meist eine ganze Serie von kleinen Fehlern oder Abweichungen für den einen offensichtlichen Fehler verantwortlich. Und bei der Suche nach dem Ursprung des Fehlers hilft es keineswegs persönlich zu werden.

Als Menschen werden wir uns nie ganz von Fehlern frei machen können, aber wollen wir das ‚Übel‘ bekämpfen, dann doch am besten an der Wurzel. Es macht also Sinn möglichst tief zu graben um herauszufinden wo die Abweichung beginnt, die zum großen, offensichtlichen Fehler führt.  Solange man Fehler noch intern regulieren kann sind Aufwand und Kosten geringer als bei einem extern wahrgenommenen Fehler. Ab welchem Grad eine Abweichung allerdings als Fehler bezeichnet wird, das muss in jeder Branche, in jedem Projekt oder Unternehmen separat festgelegt werden. Hier wird auch der Qualitätsanspruch der einzelnen Menschen sichtbar. Das führt dann zu verschiedenen Fehlerkulturen auf verschiedenen Ebenen.

So kann für mich als Jongleur ein Fehler etwas ganz anderes bedeuten als für meine Zuschauer. Da kann nach einer Show ein Zuschauer sagen: Toll, dass nichts runtergefallen ist, alles fehlerfrei! Und ich lächle und freue mich mit ihm, aber in der Nachbereitung hingegen gibt es einiges zu besprechen und einige der geschehenen Fehler zu bearbeiten, die für den Zuschauer gar nicht wahrnehmbar waren.

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Andy Gebhardt ist Jongleur und Vortragsredner und gibt in seinen Vorträgen Einblicke in die Fehlerkultur des Jongleurs.