Fehler als Prozessschritt oder als Endpunkt?
In der Schule wird man für Fehler mit schlechten Noten bestraft. Wir kennen sowas aber auch aus Politik und dem öffentlichen Leben, wer einen Fehler macht wird von der Presse verurteilt und durch den Dreck gezogen, die juristische Unschuldsvermutung wird ignoriert und danach ist man weg vom Fenster. Wie soll man da lernen, zu einem Fehler stehen? Oder aus einem Fehler zu lernen?
Andererseits wissen wir es aus dem Sport und von anderen Geschicklichkeitsübungen, wie zum Beispiel beim Jonglieren, Fehler gehören dazu und ohne Fehler lässt sich nichts lernen.
Fehler können ein Endpunkt sein oder auch ein Entwicklungsschritt. Fallbeil- oder Fallbeispiel. Betrachtet man das eigene Leben oder die Entwicklung über Generationen hinweg, dann sind Fehler stets ein Entwicklungsschritt, oder Momente, die uns auf Entwicklungsbedarf aufmerksam machen. Sie sind Markierungen in einem laufenden Prozess.
Carol Dweck lobt in einem TED-Vortrag das „not yet“ – das „Noch nicht“, weil es uns genau auf diesen Umstand aufmerksam macht. NOCH passieren Fehler. Oder es hat NOCH NICHT geklappt. Damit werden Fehler als Schritte in einen Lernprozess gesehen, und nicht als festgesetztes Ende. Den Unterschied macht also die Sichtweise.
Und wie sieht das in der Praxis aus? Kinder fallen hin und können NOCH NICHT laufen. Also versuchen sie es noch einmal. In der Schule hingegen gibt es dann aber eine fünf, man darf die Prüfung nicht wiederholen und damit ist man eben schlecht in Mathe. Punkt. Aus. Ende. Für mich persönlich lief es genau so in den Fremdsprachen. Nach den ersten fünfen stand fest, dass ich das einfach nicht kann. Wegen Latein musste ich sogar eine Klasse wiederholen. Es ging für mich nur noch darum es irgendwie zu überstehen. Erst nach meiner Schulzeit stellte ich fest, dass mir einfach nur die Motivation fehlte. Inzwischen habe ich richtig Spaß daran und halte sogar Vorträge auf Englisch.
Dweck schlägt vor statt eine fünf zu geben lieber zu sagen: Du hast die Prüfung NOCH NICHT bestanden. Die Note, bzw. den Schein gibt es aber erst dann, wenn man es kann. Damit wird eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema gefordert und vor allem werden Fehler als Wegmarken im individuellen Lernprozess gesehen. Mit dem Noch-Nicht wird die Angst vor Herausforderungen reduziert, man lernt sich Aufgaben zu stellen, auch wenn sie nicht auf Anhieb klappen. Man lernt, dass die Dinge in den Griff zu bekommen sind, wenn man nur lange genug daran arbeitet.
Ist der Fehler hingegen ein Endpunkt lernt man Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, Risiken zu meiden, zu schummeln und sich mit andern zu vergleichen, Schuld von sich auf andere zu schieben.
Dweck hat sogar Feldversuche an Schulen gemacht, und dabei überwältigende Ergebnisse erzielt. Selbst sozial benachteiligte Klassen aus Problemgegenden konnten nach nur einem Jahr „Not Yet“ bessere Ergebnisse erzielen als Kinder aus geschützten Schulen in wohlhabenden Umgebungen. Das liegt daran, dass die einen mit dem Not Yet ein wachstumsorientiertes Denkvermögen (Growth Mind-Set) etablieren, während üblicherweise ein statisches Denkvermögen (Fixed Mind-Set) vorherrscht. Die Frage ist also ob man Fehler als Prozessschritt oder als Endpunkt sieht, als Fallbeil- oder Fallbeispiel.
Beim Jonglieren kommt das ziemlich offensichtlich zur Geltung. Der eine Lernende, macht Fehler und übt weiter, versucht und versucht bis er erste Erfolge hat, während ein anderer Schüler bei der ersten Gelegenheit die Bälle zur Seite legt, aufgibt und sagt: Ich kann das nicht. Wenn der wüsste, dass auch einem Profi immer wieder Fehler passieren und kein einziger Mensch auf der ganzen Welt garantiert fehlerfrei jonglieren kann…
Und wenn der Text etwas konfus war, und Sie ihn noch nicht verstanden haben, dann macht das nichts, sie können ihn einfach noch mal lesen. Oder sich auch den sehr empfehlenswerten Ted Talk von Carol Dweck anschauen.
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Der Autor Andy Gebhardt spricht in seinen Vorträgen über Fehlerkultur, und zwar auf Deutsch und Englisch.