Fehler: Fluch und Segen

Aus Fehlern lernen hilft uns etwas zu verstehen, zu lernen, zu verbessern. Sie lösen Gedanken und Ideen aus und bringen so einige Innovationen hervor. Aus Fehlern lernen zu können ist eine sehr gute menschliche Eigenschaft, vielleicht sogar unsere Beste. Unsere ganze Zivilisation mit all ihren Errungenschaften basiert auf dem Prinzip Versuch und Irrtum, ist mit und aus Fehlern und Irrtümern gewachsen. Da hat uns Gott bei der Schöpfung eine tolle Fähigkeit mitgegeben.

Allerdings mögen wir Menschen Fehler nicht. Sie passieren immer dann wenn man sie nicht braucht und sie verhindern in diesem Moment unseren Erfolg. Wir streben nach Perfektion und Fehlerfreiheit, sind und bleiben aber Menschen, denen Fehler passieren. Wir sind fehlerhaft, fehlbar und fehleranfällig. Perfektion ist und bleibt unerreichbar. Wir wissen es und trotzdem: immer wenn wir hinter unseren Zielen zurückbleiben fühlen wir uns entmutigt, unzulänglich weniger wert. Noch schwieriger wird es wenn andere mitbekommen dass ein Fehler passiert.

Ich habe jahrelang als Profi-Jongleur gearbeitet und weiß, dass man Jonglieren nicht lernen kann ohne Fehler zu machen. Macht man aber zu viele Fehler auf der Bühne, dann war man die längste Zeit Profi. Fehler sind Fluch und Segen. Wir beschäftigen uns aber eher mit dem Fehler als Fluch, den wir gerne ignorieren. Haben vieles in unserer Gesellschaft so eingerichtet, dass Fehler eigentlich nicht mehr passieren dürfen,  obwohl wir uns unserer fehleranfälligen Menschlichkeit bewusst sind. Heutzutage gibt es sogar Fehler, die gattungsbedrohend sind. Und trotz dieses Wissens bauen wir Waffen und AKWs, immer mehr Autos und Flugzeuge.

Wenn Fehler aber auch ein Segen für uns sind, eine so hervorragende menschliche Eigenschaft, die von Beginn an den Mensch als Mensch auszeichnet, dann muss doch die Bibel und Gott auch eine Meinung dazu haben. Und die lässt nicht lange nach sich suchen. Die erste Geschichte der Bibel beschäftigt sich mit der Frage woher der Mensch eigentlich kommt, und siehe da der Fehler taucht gleich auf. Wie der Fehler den Anfang der Jonglage markiert, so gibt es ihn auch in der Schöpfungsgeschichte.

Fehler in der Schöpfungsgeschichte

Im Buch Genesis formte Gott den Menschen und blies ihm Lebensatem ein (Gen 2,7).Danach beschäftigte er sich kurz mit anderen Dingen und „dann sprach Gott der Herr: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibe“ (Gen 2,18). Da sah Gott Adam und ihm wurde klar, dass das so nicht geht. Wusste er von Anfang an, dass da noch nachgearbeitet werden muss? Oder wollte er den einzigen Menschen erst mal an Einsamkeit leiden lassen? Wenn es ihm wirklich erst später aufgefallen ist, dass das ‚nicht gut‘ ist, dann ist ihm wohl ein Fehler unterlaufen. Gleich nach der Erkenntnis, dass ein einzelner Mensch nicht gut ist, formt er einen zweiten dazu. Falls Gott einen Fehler gemacht hat, hat er ihn auch erkannt und unmittelbar daraus gelernt. Er zieht sofort ziemlich gute Schlüsse und setzt sie um. Ich jedenfalls mag die Frauen.

In der Bibel gibt es aber zwei Schöpfungsgeschichten, die sich genau in diesem Punkt unterscheiden. Die andere Schöpfungsgeschichte lässt genau diesen göttlichen Fehler und das Lernen daraus aus. Sie sagt „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (Gen 1,27). Die Version mit dem göttlichen Fehler ist die ältere Version, soll etwa 950 v.Chr. entstanden sein, die vorangestellte ganzheitliche oder „fehlerfreie“ Version entstand etwa 400 Jahre später.

Kann es sein, dass der Autor dieser neueren Version nicht wahrhaben will, dass Gott auch Fehler macht? Sitzen unsere Angst vor Fehlern und die Verachtung des Fehlers so tief? Kann es sein, dass der Autor in Fehlern eher einen Fluch sieht anstatt Segen und Entwicklungstreiber? Kann es sein, dass der Autor wenn schon selbst von Fehlbarkeit geplagt wenigstens einen unfehlbaren Gott haben will?

Und ich sah, dass es nicht gut war

Aus Fehlern lernen – eine göttliche Eigenschaft?

Gott einen Fehler zu unterstellen, insbesondere bei der Schöpfung des Menschen, (wobei sonst?), gilt bei einigen eingefleischten Christen sofort als Häresie. Dabei schaut sich Gott in Gen 6,6, also nach der Schöpfung, nochmal die Menschen an und „da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben.“ Also schickt er die Sintflut und kurz danach in Gen 8,21 scheint er auch davon Abstand zu nehmen und verspricht reumütig „nicht mehr alles Lebendige zu vernichten, wie ich es getan habe“. Kann Gott also wirklich fehlerfrei sein?

Wenn der Fehler auch ein Segen ist, warum sollte dann Gott nicht auch Fehler machen dürfen? Wenn Gott uns nach seinem Abbild geschaffen hat, warum soll er uns dann nicht das Lernen aus Fehlern als die ‚alles verändernde Eigenschaft‘ mitgegeben haben? Warum sollen das Lernen aus Fehlern und eben die zugrundeliegende Fehlerhaftigkeit nicht auch göttlichen Ursprungs sein?

Ist Vollkommenheit ein Fehler?

Unsere menschliche Unvollkommenheit treibt uns zur Weiterentwicklung und die Fehlbarkeit trägt einen wichtigen Teil dazu bei. Dabei ist sie nicht nur Motivator für Veränderung sondern macht das Leben auch erst spannend. Wie die Jonglage, die sich nur aus Fehlern lernen lässt und nur deshalb spannend bleibt weil etwas schief gehen kann. Wären wir vollkommen, könnten wir keine Fehler machen. Entwicklung ist für vollkommene Wesen ausgeschlossen, und wäre es damit nicht sterbenslangweilig? Könnten vollkommene Wesen sich überhaupt an sich verändernde Umweltbedingungen anpassen? Wenn Gott vollkommen ist, wie kann er sich dann entwickeln? Was ist eigentlich größer: Entwicklungsfähigkeit oder Vollkommenheit? Und was davon ist lebendiger? Und wie wir in den obigen Beispielen gesehen haben hat Gott aus Fehlern gelernt, Schlüsse gezogen und sein Verhalten damit verändert.

Wenn Gott Fehler macht und aus Fehlern lernen eine göttliche Eigenschaft ist, dann müsste es als überheblich gelten nach absoluter Perfektion zu streben. Das hieße über Gott stehen zu wollen. Dann müsste es dem guten Ton entsprechen, Dinge so gut wie möglich zu machen und dann zu sagen: Na ja, irgendwo steckt sicherlich ein kleiner Fehler drin. Und wenn Sie ihn finden, dann lassen sie es mich wissen, damit ich es besser machen kann.

Was bedeutet das für uns?

Ein fehlbarer und lernender Gott hat immense Implikationen. Den Papst lassen wir mal aus. Fehler wären eine Lernbasis und nicht per se schlecht. Ein guter Christ versucht dann aus jedem Fehler zu lernen, und setzt das Gelernte auch um. Er hilft anderen aus Fehlern zu lernen und teilt seine Lerneinheiten mit anderen. Man würde andere auch Fehler machen lassen, damit sie wichtige aber ungefährliche Erfahrungen selbst machen können. Fehler verheimlichen könnte als Sünde gelten, weil man andere damit ihrer Lernmöglichkeit beraubt. Für Fehler würde man sich nicht schämen, und sie würden uns nicht entmutigen sondern sie könnten offener Ansporn für Entwicklung sein. Vielleicht würde man in Predigten verschiedene Lösungsmöglichkeiten zur Fehlerbehebung erörtern. Die Kirchen und Klöster wären Entwicklungstreiber und Taktgeber für den Fortschritt (Waren sie das nicht auch über lange Zeit?)  Man würde vieles ausprobieren und falls es sich als Fehler entpuppt, könnte man es einfach wieder ändern ohne dass Köpfe rollen und Gesichter verloren werden. Veränderungen wären willkommen und Stillstand aus Angst vor Fehlern wäre verachtet. Wir würden in der Politik nicht Leute wählen, die eine Lösungen haben, sondern solche, die das Problem verstehen und bereit sind verschiedene Lösungen auszuprobieren.

Und weil man sich als Mensch in seiner göttlichen Fehlbarkeit kennt und schätzt würde man die Welt fehlerfreundlich gestalten, und nur das zulassen was auch schiefgehen darf.  Nichts darf gattungsbedrohend oder weltvernichtend sein. So können wir jederzeit wie der Jongleur, ehrlich lächeln, den Ball aufheben und es mit Gottes Hilfe neu und besser versuchen.