Leitbild oder Vorbild
Führungskraft zum Mitarbeiter: „Also die Heike ist unmöglich, hast Du gehört wie sie wieder über ihre ganzen Kolleginnen aus der Abteilung gelästert hat? Ich finde sowas unmöglich wie respektlos die über andere lästert. Das geht mir richtig auf den Senkel. Die hat wohl noch nie unser Leitbild gelesen und was da über Respekt voreinander und gutes Miteinander drin steht. Daran sieht man eben, wie einfach die gestrickt ist. Wie soll denn da ein Teamzusammenhalt entstehen, wenn so übereinander geredet wird und dann auch noch hinten rum?“
Was nimmt der zuhörende Mitarbeiter aus diesem Gespräch mit? Dass man nicht über andere lästern darf? Sicherlich nicht, da die Führungskraft ja selbst lästert.
Was ist also wichtiger für ein Unternehmen Vorbild oder Leitbild? Vorleben oder Vorlesen? Ganz klar: Kultur wird vorgelebt. Die einfachste Definition für Kultur ist die von Bright und Parkin (1997): So machen wir das hier. Wenn Lästern vorgelebt wird, dann macht man das offensichtlich so. Dann ist das wohl legitim.
Ich habe mal einen Workshop erlebt, der ein Leitbild mit Leben füllen sollte. Die obersten Führungsebene hatte das Leitbild ausgearbeitet. Die ersten Fragen waren: Warum sind die, die das erstellt haben nicht hier? Warum sollen wir unser Verhalten ändern, wenn die weiter machen wie bisher? Gilt dieses Leitbild auch für die? Die Frage ist nicht Leitbild oder Vorbild. Ein Leitbild ohne Vorbild ist überflüssig.
Winfried Berner schreibt in seinem Buch Culture Change zum Thema Leitbild: „dass auch die sorgfältigste Beschreibung, wie man die Welt gerne hätte, nicht bewirkt, dass die Welt so wird.“ Weiter schreibt er:
Es ist wie Geisterbeschwörung im Management.
Man formuliert in wohlklingenden Worten, wie man die Welt gerne hätte = Visionen, Leitbilder, Führungsgrundsätze
Vollführt einige Tänze = Management-Workshops, Führungstagungen, Mitarbeiterversammlungen
Bringt symbolische Opfergaben = Hochglanzbroschüren, Erinnerungskärtchen, Accessoires
Und wartet dann auf das Eintreten des gewünschten Ergebnisses. Eine neue veränderte Unternehmenskultur!
Kulturveränderung hängt an Vorbildern und damit an der Entschlossenheit der Führungskräfte. Wenn von ‚oben herab‘ keine Entschiedenheit spürbar und glaubhaft vorhanden ist, hat kein Mitarbeiter Grund sein Verhalten zu ändern. Im Gegenteil: Jede neue Regel wird sowieso immer auf ihre Gültigkeit getestet. Regiert eine Führungskraft da inkonsistent, so demontiert sie damit nur ihre eigene Führungsautorität.
Leitbild oder Vorbild? Wenn Sie wirklich was ändern wollen, machen Sie das Leitbild lieber später und fangen Sie derweil bei sich an.
Andreas Gebhardt ist Jongleur und Vortragsredner. Seine Themen seiner Vorträge sind Kultur, insbesondere Fehlerkultur und Mut zum Change