Was ist eine konstruktive Fehlerkultur? Und was kann man vom Journalismus dazu lernen?

In meinen Vorträgen sage ich, wie wichtig es ist, nach einem Fehler darüber zu sprechen. Allerdings muss man dabei aufpassen, dass das Gespräch auch die richtige Richtung einschlägt. Denn allzu leicht driftet man ab in Fingerpointing, Blame Culture, und Cover-your-Ass. Das Gespräch bleibt negativ. Diese Rückwärts- und Problemorientierung ist Zeichen einer negativen Fehlerkultur. Im Gegensatz dazu steht die positive oder konstruktive Fehlerkultur, in der man Fehler lösungs- und zukunftsorientiert bespricht. Am besten sogar ohne Schuldzuweisung.

Und was hat das mit konstruktivem Journalismus zu tun? In Ihrem Buch: „Wie wir die Welt sehen“  spricht sich Ronja von Wurmb-Seidel für konstruktiven Journalismus aus. Sie geht dabei intensiv darauf ein, wie wir darauf reagieren wenn wir negative Nachrichten konsumieren.

Was bewirken negative Nachrichten?

Sehr gut recherchiert zeigt sie, „welche Effekte der dauerhafte Konsum von negativen Nachrichten auf uns hat. Wir bekommen Angst. Wir schämen uns. Wir entwickeln Schuldgefühle, weil wir nicht noch mehr tun, um die Welt zu verbessern. Wir verlieren Antriebskraft, wir werden zynisch, gestresst, verhalten uns passiv. Wir sind weniger motiviert, Dinge zu verändern. Wir betrachten Missstände als unveränderlich und nicht als zeitlich begrenzte änderbare Zustände.“  (S.20) Fazit : „Wenn eh alles den Bach runtergeht, warum sollten wir uns dann überhaupt noch darum bemühen, dass sich die Dinge ändern? “ (S.21). Der Konsum von negativen Nachrichten führt dazu, dass wir meinen eh keinen Einfluss zu haben. Es lähmt und führt zu einem Ohnmachtsgefühl. Solche Symptome kennt man auch aus Unternehmen, in denen eine schlechte Fehlerkultur und negative Kommunikation vorherrscht. Vieles davon klingt sehr nach innerer Kündigung.

Erschreckend finde ich, dass es nur wenige Minuten braucht „um die Stimmung einer Person von neutral zu negativ zu verändern, und zwar ausschließlich durch Medienberichte.“ (S.72)

Sind Nachrichten Fehlerberichte?

Von Wurmb-Seidel nennt Nachrichten im traditionellen Stil, die nur über Katastrophen, Ungerechtigkeiten, Missstände, Gewalt, Krieg und Verderben berichten sogar Fehlerberichte. Weil sie darauf hinweisen, was in unserer Gesellschaft alles nicht klappt. Aber was ist die Aufgabe von Nachrichten? Gehört zum Informiert sein nur zu wissen, was alles schiefgeht? Ist das wirklich alles, was wir von Nachrichten erwarten? Und wie sieht es im Unternehmen aus? Um zu konstruktivem Journalismus bzw. zu konstruktiver Fehlerkultur zu kommen sollte man einen Schritt weiterzudenken.

Denn viele Nachrichten bleiben wie eine schlechte Führungskraft im Fehlergespräch rückwärtsorientiert und schieben nur Schuld hin und her. Zeigen einfach nur auf was schiefläuft. Was dabei fehlt ist die Zukunfts- oder Lösungsorientierung, die in einer positiven Fehlerkultur steckt – und das ist der Unterschied, der auch konstruktiven Journalismus ausmacht.

Es passiert sogar noch mehr beim Konsum negativer Nachrichten: „Je mehr Warnungen wir über eine Bedrohung hören, desto mehr Angst haben wir, dass wir selbst davon betroffen sein könnten. Das was uns eigentlich schützen soll – Informationen, Warnungen, Sicherheitshinweise-, macht uns kaputt, wenn wir es zu oft hören.“ (S.19) von Wurmb-Seidel nennt hier den Begriff der prä-traumatischen Belastung.

Wie bekommt man jetzt aber den Dreh zum Positiven?

Für Positives braucht es kein Feel-Good-Kino. Es reicht einer negativen Nachricht die Zukunftskomponente hinzuzufügen. Das geht über folgende Fragestellungen:

  • Was können wir tun, damit der Fehler nicht wieder oder seltener passiert?
  • Was lernen wir daraus?
  • Können wir das in Zukunft verhindern und wenn ja, dann wie?
  • Gibt es Vorbilder? Wie machen andere das?
  • Wie könnte es besser laufen?
  • Was wäre denn eigentlich das Idealbild?
  • Können wir damit einen Umgang finden?
  • Haben wir schon eine Lösung oder einen Lösungsvorschlag für das Problem?

Diese Fragen, die zu konstruktivem Journalismus führen, passen eins-zu-eins in eine Fehlerbesprechung. So erwächst daraus eine ganz andere Reaktion beim Gegenüber. Denn Gefühle sind ansteckend, sowohl positive als auch negative.

In einem solchen Gespräch werden Schuldzuweisungen, Ausreden und Ausflüchte überflüssig. Weil man gemeinsam in eine Zielrichtung denkt.

Was passiert in einer konstruktiven Fehlerkultur? Bzw.  Wenn Nachrichten eine Zukunftsorientierung haben?

Zuallererst bewirkt die Zukunftsorientierung eine andere Denkrichtung. Die Perspektive verändert sich und aus einem Fehlerbericht wird ein Startpunkt. „Fragen dieser Art führen nicht nur dazu, dass wir unser Wissen über konstruktive Ideen vermehren. Laut Forschung motivierte es uns auch das neu erlernte Wissen im eigenen Alltag tatsächlich anzuwenden.“ (S.147) Das Interesse am Thema steigt. Man fühlt sich inspiriert, motiviert und hoffnungsvoll. Ist es nicht das was wir in einem Unternehmen wollen? Dass man sich informiert fühlt und handlungsorientiert ist, anstatt nur heruntergezogen wird? Dafür braucht es eine positive und konstruktive Fehlerkultur. Eine Lernkultur.

Die Herausforderung

„Unser Gehirn ist evolutionsbedingt stärker auf Gefahren fokussiert, als auf Dinge, die uns guttun. 60-70% unserer Gedanken sind negativ“  (S.171) Dabei nimmt Negatives nicht nur mehr Raum ein, sondern wird dadurch auch sehr viel größer und wichtiger, als es tatsächlich ist. (Wenn Sie Interesse haben das zu testen, dann machen sie mal das Gapminder-Quiz von Hans Rosling. Die Ergebnisse sind wirklich erschreckend. https://www.gapminder.org/ )

Die Herausforderung besteht darin, sich diesen Negativ-Bias bewusst zu machen und mit konstruktiven Fragen und zukunftsorientiertem Denken darauf zu reagieren. Das macht uns nicht nur handlungsfähiger und erfolgreicher, sondern auch zufriedener.

Das soll übrigens nicht dazu anregen, Fehler zu verschweigen oder auf die leichte Schulter zu nehmen. Es soll helfen sie ganz absichtlich konstruktiv zu nutzen, um schnelleres, faireres, menschlicheres Vorankommen zu ermöglichen.

Von Wurmb-Seibel schreibt:

„Wir können beeinflussen wie sie (Nachrichtenempfänger/Gegenüber im Fehlergespräch) sich fühlen, wie sie ihre Umwelt wahrnehmen und sich selbst. Wie sie auf Stress reagieren und wie sie mit Krisen und Rückschlägen in ihrem Leben umgehen. Wie dieser Einfluss aussieht, ob positiv oder negativ, ob verunsichernd oder ermutigend, ob bremsend oder aktivierend, das liegt in unserer Hand. Noch mehr: in unserer Verantwortung.“(S.67)

Ich kann das Buch „Wie wir die Welt sehen“ von Ronja Wurmb-Seidel wärmstens empfehlen. Ein toller Aufruf, die Welt durch Geschichten, Nachrichten und Texte etwas besser zu gestalten.

„Schlechte Nachrichten sind nicht das Ende der Geschichte, sie sind erst der Anfang.“ (S.150)

Also packen wir es an. Heute ist ein guter Tag unsere Fehlerkultur konstruktiver und positiver zu gestalten.

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Hier noch mal der Link zu dem sehr emfehlenswerten Buch: „Wie wir die Welt sehen“  von Ronja von Wurmb-Seidel

Andreas Gebhardt ist Jongleur & Keynote Speaker und hält u.a. Vorträge zum Thema Fehlerkultur .