Ha Ha Ha – Nicht einmal Gott könnte veranlassen, dass mir einen Ball runterfällt
Ich bin ein so perfekter Jongleur, nicht einmal Gott könnte veranlassen, dass mir einen Ball runterfällt. Jahrelanges Training, beste Lehrer, beste Methoden, bestes Arbeitsmaterial – meine Bälle haben noch niemals den Boden gesehen.
Bei einem Jongleur wirken solche Aussagen überheblich. Wer würde so etwas glauben? Wer würde darauf sogar sein Leben verwetten? Als der Schiffsreeder Bruce Ismay allerdings beim Stapellauf auf die Titanic blickte und angeblich sagte “Nicht einmal Gott könnte dieses Schiff versenken“ da glaubte man ihm. Und gerade diese Überheblichkeit hat dazu geführt, dass viele weitere Fehler passieren konnten. Man glaubte ihm so sehr, dass man weniger Rettungsboote einplante als Passagiere an Bord waren. Aber selbst genügend Rettungsboote hätten keinen Unterschied gemacht, da die Crew niemals einen Notfall plante oder übte. Sie ignorierten eingehende Eisbergwarnungen. Man hatte nicht mal Ferngläser an Bord, mit denen man aus dem Ausguck den Eisberg frühzeitig hätte erkennen können. Und selbst als es dann in größter Not der Kapitän zur Evakuierung aufrief glaubten ihm die Passagiere erst nicht und wollten nicht in die Rettungsboote.
Hochmut kommt vor dem Fall. Die Erbauer der Titanic waren wohl keine Fehlerfreunde. Eine fehlerfreundliche Titanic wäre vielleicht weiter gekommen. Der Glaube an die menschliche Unfehlbarkeit führte zu noch mehr Fehlern und die Summe der Fehler nennen wir Katastrophe.
Im Nachhinein hat man von den Fehlern gelernt, die Schiffe sind jetzt besser ausgestattet, Sicherheitstechnik, Fluchtpläne, Rettungsübungen,… die Kernbotschaft sollte doch aber sein: Bleibt fehlerfreundlich. Bleibt menschlich. Seid demütig. Hat der Mensch denn jemals etwas erbaut, oder unternommen, dass immer perfekt klappt? Woher nimmt man dann dieses dümmliche Vertrauen in die Fehlerfreiheit? Wenn alles immer irgendwann schiefgeht und es also nur eine Frage der Zeit ist wann wieder etwas passiert, dann ist es doch äußerst wichtig, dass man die Dinge fehlerfreundlich gestaltet.
Wenn Menschen meinen sie könnten etwas perfekt, nicht mehr über Risiken sprechen, sondern nur noch über Chancen, dann ist es immer angebracht misstrauisch zu werden. Denn dieses irre Vertrauen auf die menschliche Unfehlbarkeit führt dazu, dass man seine Meinung nicht mehr ändern kann, sich festlegt, dass man gegenteilige Meinungen kategorisch ignoriert, vielleicht sogar Andersdenkende diskreditiert. Bei der Titanic hat gerade diese Überheblichkeit zum Desaster geführt.
So sollte man hellhörig werden wenn Prof. Dr. Perfekt alle Risiken leugnet? Wenn von offizieller Seite bei TTIP überhaupt keine Risiken gesehen werden? Das kennen wir doch von Atomkraft bereits, oder? Nahrungsmittel können anscheinend auch ohne Bedenken gentechnisch manipuliert werden, Wissenschaft darf alles, Lebewesen können geklont werden, das Wetter manipuliert,…
Da ist mir doch die Herangehensweise des Jongleurs sympathischer, der in voller Menschlichkeit und im vollen Wissen seiner Fehlerhaftigkeit trotzdem auf die Bühne geht, seine Fehler zeigt und einen positiven Umgang damit findet, der auch niemandem vorgaukelt er könne keine Fehler machen. Ich wünsche mir Führung, die auch um Rat fragen kann, die auch ihre Meinung verändern darf. Wünsche mir Politiker die sagen können: ‚Weiß ich nicht, lassen sie uns doch mal verschiedene Versionen ausprobieren, das ganze Spektrum anschauen und dann das vielversprechendste weiter ausbauen‘. Ich wünsche mir eine Technik, die nicht nur auf Gutachten baut, sondern auch Schlechtachten berücksichtigt. Keine Risikobereitschaft ohne Fehlerfreundlichkeit! Ich wünsche mir Fehlerfreundlichkeit, die schon in der Schule gelernt wird, damit keiner Angst vor Fehlern haben braucht. Ich wünsche mit eben Rettungsboote für alle, Jonglierbälle, die nicht aus Glas sind und Technologien, die nicht ganze Landstriche für tausende von Jahren verseuchen. Fehlerfreundlichkeit, eben.
Wie steht es um Ihre Fehlerfreundlichkeit?
A. Gebhardt ist Redner, Keynotespeaker, Referent und dpricht zum Thema Fehlerkultur und Fehlerfreundlichkeit. Hier gibt es weitere Infos zum Vortrag.
P.S.: Der Begriff der Fehlerfreundlichkeit wurde 1977 von Christine von Weizsäcker in die wissenschaftliche Disskusion um die Fehleroffenheit eingeführt. – Christine Weizsäcker und Ihre Mann Ernst Ulrich von Weizsäcker definieren es laut Wikipediaeintrag so:
„Fehlerfreundlichkeit bedeutet zunächst einmal eine besonders intensive Hinwendung zu und Beschäftigung mit Abweichungen vom erwarteten Lauf der Dinge. Dies ist eine in der belebten Natur überall anzutreffende Art des Umgangs mit der Wirklichkeit und ihren angenehmen und unangenehmen Überraschungen“