Offene Fehlerkultur vs. So machen wir das hier

Ich bin Jongleur. Eine echte One-Man-Show. Ich bin der Kopf des Unternehmens, meine Mitarbeiter sind meine Hände, Füße, …

Das Unternehmen floriert, aber in letzter Zeit habe ich immer mehr Probleme mit einem sonst recht unauffälligen Mitarbeiter, dem linken Knie. Manchmal muss ich sogar von der Bühne humpeln. Seit mehreren Shows suche ich den Grund für die Knieschmerzen. Aber es ist schwierig , da ich beim Jonglieren immer nach oben schaue, wo die Bälle ihren Zenit haben oder ins Publikum, für das ich eigentlich da bin.

Während einer Show lässt die linke Hand etwas fallen. Ich bemerke es fast nicht und prompt gleicht der linke Fuß das wieder aus, mit einem sogenannten ‚Kick-up‘, einem flinken Hochkicken des Requisits. Der Schmerz fährt mir ins Knie und da komme ich der Sache auf die Schliche.

Nach der Show bitte ich die linke Seite des Teams in mein Head-Quarter zum Gespräch. Dabei stellt sich heraus, dass die linke Hand mit dem linken Fuß einen Deal hat, und zwar soll der Fuß die Fehler der Hand ausgleichen, möglichst so, dass ich oben in der Chefetage nichts bemerke. So ein kleiner Fehler, sagte sie, hat ja keine Konsequenzen, zudem ist diese Lappalie ja mit dem Kick-up durch den Fuß bereits erledigt. Allerdings haben sich durch diese Einstellung aber immer mehr Fehler eingeschlichen und, dass das Knie darunter leidet haben die beiden Schlaumeier gar nicht bemerkt.

Während der Besprechung spüre ich die Angst im Raum. Die linke Hand wollte einen Fehler verheimlichen und nun sind gleich Duzende aufgeflogen und die haben noch dazu ernste gesundheitliche Konsequenzen für den Kollegen Knie.  Die Hand erwartete einen Wutausbruch, eine Abmahnung oder Strafversetzung in die Hosentasche. Natürlich war ich sauer, aber ich hatte andere Pläne…

Als erstes nahm ich mir die linke Hand zur Brust. Dort ist die Personalentwicklung, das Herz unseres Unternehmens, da gibt es ein individuelles Konflikt- und Kommunikationstraining. Die Aufgabe: jeder Fehler muss gemeldet werden, egal wie gering.

Nachdem sich das Knie erholt hatte, gab es dann ein extra Training in dem die linke Hand einen technischen Feinschliff erhielt, damit nicht mehr ganz so viele Fehler passieren.  Dann setzten wir einen Kick-up-Workshop an, damit erstens das linke Knie mit einer sauberen Technik arbeiten kann und nicht weiter leiden muss und zweitens damit die rechte Seite auch so einen flinken Kick-up lernt. Seither ist die linke Seite entlastet und wenn die Kick-ups Rechts-Links im Wechsel passieren, dann ist das ein superbeindruckender neuer Trick, eine echte Innovation für die wir einen langweiligen alten Trick wieder aus dem Sortiment nehmen konnten.

Die heimlich gehaltene Absprache hatte ernsthafte Konsequenzen für den nicht beteiligten Kollegen Knie und durch die Heimlichkeit zwischen Hand und Fuß ist diese Innovation des „Kick-up-Tricks“ erst sehr viel später entstanden. In einer offenen Fehlerkultur hätte die Performance schon viel eher verbessert werden können und der Jongleur hätte nicht von der Bühne humpeln brauchen.

„So machen wir das hier“ ist die kürzeste Definition von Unternehmenskultur (Bright & Parkin, 1997) Aber warum machen wir das so? Warum gibt es heimliche interne Absprachen? Warum scheut man Transparenz und das offene Gespräch? Gibt es Angst vor Sanktionen? Verfolgen alle Mitarbeiter dasselbe Ziel? Herrscht starkes Konkurrenzdenken? Mangelt es an gegenseitiger Akzeptanz? Welche Unternehmenskultur herrscht vor? Was für eine Fehlerkultur? Was für eine Konfliktkultur?

Ein Blick auf die Fehlerkultur ist lohnend. Welche Teile der Unternehmenskultur haben negative Auswirkungen auf Performance, Arbeitsbereitschaft und Strategie? Welche Teile wirken unterstützend?

In diesem Fall war es vielleicht für das Unternehmensziel erst mal dienlich, dass die linke Hand mit dem Fuß diesen internen Deal hatte, aber ab dem Punkt, an dem das Knie in Mitleidenschaft gezogen wurde, brachte diese Fehlerkultur das ganze Unternehmen ‚Jongleur‘ in Schieflage. Und deshalb machen wir das hier jetzt nicht mehr so, sondern reden miteinander – auch über Fehler und Schwierigkeiten.

Andy Gebhardt ist Jongleur und Redner / Referent zum Thema Fehlerkultur

D. Bright & B. Parkin, 1997: Human Resource Management – Concept and Practices, S. 13. Business Education Publishers Ltd.