Lassen und gelassen werden – der Umgang mit  Fehlern

Dies ist eine Fortsetzung des Artikels Kopfkino – auf dem Weg zur Gelassenheit

Ich trat mein nächstes Engagement an, vier Wochen Varieté in Marburg. Ein tolles Engagement mit tollen Kollegen. In der Premiere hat der Schlusstrick erst auf den zweiten Versuch geklappt. Aber ich hatte den Technikern vorher gesagt, wie mein Umgang mit Fehlern ist: dass dies durchaus passieren kann, und, dass ich den Schlusstrick höchstens dreimal versuche, egal wie der dritte Versuch ausgeht.

Während der Jongliernummern auf der Bühne, gingen mir immer wieder alle möglichen Gedanken zur Gelassenheit durch den Kopf. Dass ich für das Publikum jongliere und für die Jonglage selbst, aber nicht für mich. Dass ich den Fehler Fehler sein lassen sollte, um von den Fehlern gelassen zu werden. Ich versuchte die Gedanken sein zu lassen, um im Moment anzukommen, nicht an Vergangenes oder Zukünftiges zu denken, sondern nur den Moment wahrzunehmen. Ich versuchte die Spannung zwischen Fehler und Nicht-Fehler, zwischen Angst und Mut nicht zu verstecken, sondern durch mich hindurchzulassen und dem Publikum erlebbar zu machen. Ich versuchte den Fehler zu schätzen, aber ihm auch nicht zu viel Bedeutung zu geben. Also: Lassen und gelassen werden.

So stand ich philosophierend und  jonglierend auf der Bühne und beobachtete mich tagelang, wie ich mit der Unsicherheit der Jonglage umgehe. Denn beim Jonglieren ist es egal, wieviel man übt, es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass es klappt. Man kann nie vollkommen sicher jonglieren, es bleibt immer ein Rest-Risiko bestehen. In diesen Tagen habe ich es immer wieder geschafft, ganz da zu sein, ganz im Moment zu sein, mein Ego komplett durchlässig zu machen, und in all diesen Tagen ist nichts, aber auch gar nichts missglückt.

Einer der Musiker fragte mich nach zwei Wochen, ob bei mir überhaupt noch was schiefgehen kann,  ob ich mich überhaupt noch konzentrieren muss für die Darbietung und an woran ich eigentlich denke auf der Bühne. In der dritten Woche hatte ich endlich wieder einen Fehler und konnte mich richtig darüber freuen. Wie schön, ein Fehler. Endlich ist er wieder da, endlich sehen die Leute wieder, dass es auch schiefgehen kann, endlich wird die Schwierigkeit auch mal wieder betont. Endlich bin ich wieder ein richtiger Jongleur und noch dazu ein gelassener.

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Andy Gebhardt ist auch Redner zum Thema Fehlerkultur und Umgang mit Fehlern an.

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