Hommage an den Fehler in der Jonglage
Ein Fehler ist nicht keiner: Ein Fehler ist besser als keiner. Wenn man auf der Bühne einen Jongleur sieht, dann will man eine Leistung im Grenzbereich des Möglichen sehen. Eine Leistung, die es verdient hat auf der Bühne gezeigt zu werden, eine Leistung, die nicht jeder vollbringen kann und die denjenigen, der sie zeigt an seine persönlichen Grenzen bringt. Sieht man einen Jongleur, der alles totsicher wirft und fängt, dann verschwindet der Eindruck des Riskanten, und die gezeigte Leistung langweilt den Zuschauer, es wird „unspannend“. So ging es mir, als ich Anthony Gatto, einen der „weltbesten“ Jongleure sah.
Wenn der Jongleur aber mit seinen Requisiten kämpft, sie im letzten Moment gerade noch fangen kann und es immer wieder knapp ist, dann zeigt er uns damit, dass er im Grenzbereich des Möglichen jongliert. (Zumindest in seinem persönlichen Grenzbereich). Das Risiko, das der Jongleur eingeht ist dann sichtbar und es fasziniert die Zuschauer, oder? Es ist wie wenn man ein kleines Kind beim Laufen lernen sieht, das ist spannend, man fiebert mit und hält unter Umständen sogar die Luft an. Sieht man einen Erwachsenen, der offensichtlich Laufen kann ist das totlangweilig. Es kommt also darauf an wie man jongliert, und nicht wieviel man jongliert.
Macht der Jongleur dann einen Fehler, so ist das der sichtbare Beweis, dass die gezeigte Leistung im Grenzbereich des Möglichen ist. Er beweist damit die Schwierigkeit und die Grenzen des (für ihn) Machbaren.
Ein Fehler macht die Jonglage erst richtig spannend. Ein Fehler ist besser als keiner.
Für den Fehler spricht auch, dass die Jonglage für den Zuschauer etwas Abstraktes ist. Der Zuschauer kann oft nicht mal mehr erahnen ob, bzw. wie schwierig ein Trick ist, und erst recht nicht wie schwierig die Tricks im Verhältnis zueinander sind. Klar weiß man noch das drei Bälle leichter zu jonglieren sind als fünf, aber wenn bestimmte Muster oder Bewegungen mit den Bällen gezeigt werden, dann wird auch dieses Verhältnis in Frage gestellt. Und ob der Jongleur fünf, sechs oder sieben Bälle wirft, das ist der Unterschied für ein ungeübtes Auge fast nicht wahrzunehmen. Immerhin macht ein Fünf-Ball-Jongleur bei einer Wurf Höhe von etwa 90 cm ganze fünf Würfe pro Sekunde.
Das ist ziemlich folgenreich für den Jongleur, denn er muss nicht nur tolle Jongliertricks zeigen, sondern auch noch beiläufig mitteilen warum seine Dramaturgie so ist wie sie ist. Will der Jongleur durch schwere Tricks beeindrucken, so muss er den Zuschauern irgendwie klar machen welcher Trick wie schwer ist. Auch hier kann gelten: Ein Fehler ist besser als keiner. Will der Jongleur hingegen die Schönheit der Muster und Bewegungen zeigen, setzt er also auf die Ästhetik der bewegten Bilder, dann bleibt die Schwierigkeit der Jonglage für die Zuschauer im Abstrakten und nicht nachvollziehbar.
Neben Spannung und Schwierigkeit gibt es aber auch noch andere Herausforderungen. Der Zuschauer kommt nicht um Jonglage zu sehen, sondern um sich unterhalten zu lassen. Das degradiert die Jonglage zum Mittel zum Zweck. Man könnte fast meinen intensives Jonglier- Training führt am Ziel vorbei, hätte die Jonglage nicht eben dieses Riskante, Komplexe und Schnelle innewohnen, das dann irgendwie mit Leichtigkeit präsentiert wird. Wie aber unterhält man jemanden? Nun erst mal muss man in Beziehung zueinander treten. Ein gemeinsames Miteinander schaffen. Dafür sollte man sich z.B. gegenseitig anschauen. Das alleine ist für Jongleure schon eine echte Herausforderung, haben die Jongleure doch meistens den Kopf im Nacken und prüfen, wo der nächste Ball herkommt. Blind jonglieren ist, nun ja, nicht so einfach… Also muss der Jongleur aufhören zu jonglieren, um die Zuschauer anzuschauen, und dann auch noch dieses Nicht-Jonglieren als wichtigen Aspekt seiner Darbietung begreifen können. Das ist ungemein schwerer als man denkt. Denn einerseits ist es natürlich leichter sich hinter seinen Leistungen zu verstecken, andererseits ist man ja auch als Jongleur engagiert und nicht als Pausenmacher.
Wie kann man also Kontakt und Gemeinsamkeit herstellen? Man kennt die Zuschauer ja gar nicht. Ein einfaches und erprobtes Mittel ist da das Fehler-Machen. Ein Fehler lässt einen Moment entstehen, in dem man Kontakt herstellen kann. Einfach mal was fallen lassen, den Moment nutzen ins Publikum zu schauen und schon ist Kontakt entstanden und dazu entsteht auch noch ein gemeinsames Ziel, nämlich diesen Trick zu schaffen, bzw. zu sehen wie der Trick klappt. Plötzlich kommt auch Emotionalität ins Spiel. Besonders schön und gern genutzt ist diese Methode beim Schluss-Trick. Man lässt absichtlich fallen und schon ist Kontakt hergestellt, die Zuschauer haben gesehen, dass der Trick schwer ist, ein gemeinsames Ziel ist da, und wenn man den Trick dann beim zweiten Anlauf schafft ist der Applaus natürlich unverhältnismäßig stärker.
Und deshalb: Ein Fehler ist besser als keiner.
Ein Fehler ist besser als keiner, denn Fehler …
- machen Jonglage erst spannend
- ermöglichen es zwischenmenschlichen Kontakt herzustellen
- bringen Emotionen ins Spiel
- schaffen gemeinsame Ziele
Hier gibt es noch weitere Blogartikel zum Thema Fehlerkultur
Als Redner hält Andy Gebhardt Vorträge zum Thema Fehlerkultur